Theaterkritik

"Der Theatermacher" von Thomas Bernhard, Schauspiel Dortmund

"Mein Gott/ nicht einmal zum Wasserlassen/ habe ich diese Art von Gasthäusern betreten./ Und hier soll ich/ mein Rad der Geschichte spielen." Der Theatermacher Bruscon (Hartmut Stanke) schaut sich um im Tanzsaal des Gasthofes Schwarzer Hirsch in Utzbach, "Utzbach wie Butzbach". Hier soll er also am Abend sein selbst verfasstes Jahrhundertwerk "Das Rad der Geschichte" aufführen.

Und was er sieht, das ist ein muffiger, offenbar von Fäulnis befallener Raum, in dem der Wirt (Günther Hüttmann), routiniert auf einer Leiter balancierend, eine Wäscheleine entfernt. Sollte etwa hier "der größte aller Staatsschauspieler" seine ebenso große "Menschheitskomödie" zum Besten geben? Bruscon, der sich aktuell mit seinem Wandertheater, bestehend aus seiner vierköpfigen Familie, auf Tournee durch die Provinz befindet, ist mehr als angefressen. Ausgerechnet ihn, den großen Bruscon, musste es in diese 280-Seelen-Gemeinde Utzbach verschlagen. Angesichts der Trostlosigkeit der Utzbacher Verhältnisse und wohl auch seiner eigenen verfällt er in ein angestrengtes Grübeln, das ihn mehr und mehr als monomanen Räsonnierer entpuppt, während der Wirt geduldig Stühle in den Saal trägt.

Thomas Bernhards "Theatermacher" (erstmals erschienen 1984), ist das bis dato meist gespielte Stück des österreichischen Literaten, ein Diskurs im Theater über das Theater. Wie in vielen seiner Stücke geht es um die in einer Krisensituation gezogene Lebensbilanz eines enttäuschten alternden Mannes. "Shakespeare-Goethe-Bruscon" - Größenwahn pur. Wie schön wäre es, kein größenwahnsinniger Schmierenkomödiant, kein Verlierer, kein Familientyrann zu sein. Doch andauernder Verlust macht böse und machtsüchtig. Und so erhebt sich Bruscon tiradenselig über die von ihm Abhängigen manchmal mit körperlicher, immer aber mit Sprachgewalt. Während er sich in pseudo-philosophische Höhen schwingt, gibt er einen Anspruch an sich und sein Leben preis, zu dem seine wahre Existenz in einem jämmerlichen Kontrast steht. Das Damokles-Schwert aus körperlichem Verfall und dem nahenden Karriere-Ende ist sein ständiger Begleiter.

Bruscons Gegenspieler, der grobschlächtige Utzbacher Wirt, agiert zumeist ebenso schweigsam wie gemächlich im Hintergrund und zeigt zuweilen ein verschmitzt weises Lächeln. Es sind diese sparsamen Gesten, die ihn im Vergleich so angenehm bodenständig erscheinen lassen.

Der sein Schicksal ohne Lamento annehmende Wirt könnte keinen größeren Gegensatz zu Bruscon bilden, der leidend und in Selbstmitleid aufgelöst, vor sich hin jammert: "Ein einziger Schmerzensmann bin ich." Als würde angewandte Tyrannei seine negative Lebensbilanz aufwerten, bemerkt er mit geballter Boshaftigkeit gegenüber seinem Sohn Ferrucio (Günter Burchert): "Ein Genie wollte ich/ einen guten Menschen habe ich." Erkannt hat Bruscon längst die Lebenslüge seiner Existenz, das Schrammen am künstlerischen Dilettantismus. Die eigenen übertriebenen Ansprüche (Schopenhauer und Spinoza als Voraussetzung für sein "Welttheater") machen sein Spiel zur Schmiere. Dessen ist er sich bewusst, und er küampft wortreich gegen alles, was sein Theatermachen erschweren oder unmöglich machen könnte: die äußeren Umstände, die Familienangehörigen, den Wirt, den Feuerwehrhauptmann. Das Gelingen der abendlichen Aufführung um jeden Preis ist die oberste Maxime und sei die Zuschauerschaft auch noch so debil. Naturgemäß muss die Aufführung der Menschheitskomödie, eine Historienfarce mit einer wirren Ansammlung historischer Gestalten von Caesar bis Hitler, an den örtlichen Widrigkeiten scheitern: "Als ob ich es geahnt hätte."

Die Einheit des Handlungsortes im Rahmen eines naturalistischen Bühnenbildes und der Quasi-Monolog Bruscons machen Regina Nölkes Inszenierung leise, aber liebenswürdig. Die Leistung Hartmut Stankes, der in den 2 ½ Stunden praktisch als Alleinunterhalter fungiert, ist bewundernswert. Auf maximal-boulevardeske Art spielt er den Bruscon: wild gestikulierend und mit den Armen fuchtelnd, verliebt in die eigenen Gesten. Köstlich, wie er seufzend und selbstverliebt den Schmerzensmann gibt, um von Tochter Sarah (Ulrike Knospe) die Füße massiert zu bekommen. Obwohl ohne Text hat Frau Bruscon (Felicitas Wolff) entscheidenden Anteil an der komischen Wirkung des Stücks: Aus Protest gegen die permanenten Angriffe ihres Mannes hustet sie anfallartig und sorgt so nonverbal für die witzigsten Momente des Abends...

Das Publikum jedenfalls hustete nur vereinzelt - ein sicheres Zeichen für gute Unterhaltung.

© Birgit Wisniewski



Fenster schliessen